Flachs ist nicht gleich Flachs. Da gibt es zum einen denjenigen, der sich aufgrund seiner längeren Fasern bestens für Stoffe, Bespannungen, Textilien & Co. nutzen läßt (Langfaserflachs oder Faserlein) und zum anderen gibt es da denjenigen (Öllein), der kürzer wächst und dessen Öl für uns am interessantesten zu sein scheint.
Beide sind Saatleine, also landwirtschaftliche Nutzpflanzen, die für die jeweiligen Zwecke gezüchtet wurden. Worin sie sich unterscheiden, darüber habe ich in meinem Beitrag Flachs zur Herstellung von Leinen – welche Pflanze ist damit gemeint? bereits gebloggt.
Hier möchte ich nun – sortiert nach Flachsart – aufzeigen, wo uns welcher dieser Flachse nach wie vor im Alltag begegnen, ohne die aus dieser Nutzpflanze gewonnenen Textilien (Oberbekleidung) großartig miteinzubeziehen.
Lein, Linum, Lin umgibt uns viel öfter als wir vielleicht denken. Zuweilen ist das auch nur noch so, weil der Ursprung im Namen respektive Nutzen dieser Pflanze liegt, der wir so Vieles verdanken.
Wenn wir von nachwachsenden Rohstoffen vor unserer europäischen Haustür sprechen, dann sollte Flachs (und nicht nur der Hanf) – meiner bescheidenen Ansicht nach – zukünftig wieder viel mehr ernsthafte Aufmerksamkeit erfahren. Flachs ist eine Pflanze, die über Jahrhunderte auch in diesem Land im wahrsten Sinne des Wortes stark verwurzelt war. Würde sie wieder vermehrt angebaut, könnte sie uns bei unserem holprigen Weg CO2-Emissionen zu senken – um somit das Ziel der Treibhaus-Neutralität zu erreichen – sehr unterstützen.
Die Transformationsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel spricht in diesem Zusammenhang von den sieben F, mit denen jede/r von uns Einfluss auf die Nachhaltigkeit nehmen kann: Fummel, Fliegen, Fleisch, Fläche, Finanzen, Funken und Flagge zeigen.
Um umweltfreundliche Fummel (Bekleidung) aus dem Naturstoff Leinen geht es ja vorrangig in diesem Ponyblog. Doch Flachs, das Material aus dem Leinen gewonnen wird, kann noch viel mehr.
Auf eine Leinwand schauen wir, wenn wir ins Kino gehen, ein Ereignis auf einer Großbildleinwand verfolgen oder natürlich auch dann, wenn wir vor einem gerahmten Kunstwerk in einem Museum stehen.
Eine Leinwand ist ein Gewebe aus Leinen, das auf einen Rahmen gespannt wird und Künstler/innen seit Jahrhunderten als Grundlage für ihre Gemälde nutzen. Dagegen besteht die helle Projektionsfläche in Lichtspieltheatern, Auditorien und anderen Veranstaltungsräumen wohl kaum noch aus Leinengewebe – sondern eher aus Baumwoll-, Glas- oder Kohlefasern.
Flachspinnerei in Flandern im 19. Jahrhundert | Jules Gondry (1860-1922) | Museum voor Schone Kunsten Gent – Public Domain
Das unten abgebildete Fragment eines Leinentuches aus dem Rheinland – datiert auf das 15. Jahrhundert – zeigt uns, dass auch hiesiges Leinen bereits im Mittelalter bedruckt wurde.
Fragment eines bedruckten Leinenstoffes | 15. Jahrhundert | The MET – Public Domain
Flachs und damit der Naturstoff Leinen begleitet uns im Alltag schon eine gefühlte Ewigkeit. Ob als einzelner Leinenzwirn (beste Zahnseide von allen), großflächigeres Segeltuch für Boote und Zelte oder einfach als bunter Sonnenschutz – wie auf dem nachfolgenden, farbenfrohen Gemälde von Lluís Masriera i Rosés (1872-1958) exemplarisch dargestellt.
Lluís Masriera i Rosés (1872-1958) | Sota l’Ombrella | 1920 | Alamy Stock Foto.
Vielleicht ist der Polstersessel auf dem Sie gerade sitzen aus Leinen, oder die bodenlange Gardine vor Ihrem Fenster?
Trotz der Tatsache, das Baumwolle die unterschiedlichen Gewebe, die aus der Pflanze Flachs entstehen, arg verdrängt hat (insbesondere im Bekleidungssektor) – nicht nur Polsterer/innen und Innenausstatter/innen schätzen dieses natürliche Material.
Entwurf für grüne und weiße Vorhänge mit grünen Fransen und weiß-goldenen Giebeln | Designer unbekannt, | um 1820 | The MET – Public Domain
So auch der Möbelschreiner Nicolas Quinibert Foliot (1706-1776), der – wie sein unten abgebildetes Settee zeigt – reich besticktes Leinen im Beauvais-Stil verarbeitete. Mehr dazu unter finden Sie unter Die Geschichte des Leinens – eine Chronologie.
Sofa (Teil einer Gruppe, 1754-1756) von Nicholas Quinibert Foliot | (1706-1776) | The MET – Public Domain
In Sachen Langlebigkeit kann Baumwolle und auch Wolle übrigens nicht mit Leinen mithalten. Leinen ist in der Lage, bei guter (nicht sehr aufwändiger) Pflege mehrere Generationen zu überdauern.
Handgesponnenes Leinengarn (rund 100 Jahre alt) | Badhandtuch aus Vollleinen (heute)
Zu den absoluten Leinen-Artikel-Klassikern im Haushalt aus Langfaserflachs zählen bekanntermaßen:
Tischtücher, Kissenbezüge, Handtücher, Servietten, Bademäntel, Einkaufsbeutel, kleine Säckchen für Nippes oder das Paar Espadrilles und natürlich Bettwäsche.
Werfen Sie doch mal einen Blick auf die Etiketten. Sind Ihre Schätze aus 100% Leinen? Oder enthalten sie auch Elasthan oder Baumwolle? Vollleinen, Halbleinen oder mit nur geringem Leinenanteil – aus umweltorientierten Gründen spielt die Zusammensetzung eines Stoffes eine große Rolle. Aber nicht ausschließlich, doch dazu mehr in Der Stoff Leinen.
Erinnern Sie sich noch an Ihren Kunstunterricht in der Schule? Daran, einen Linolschnitt auf einer Linoleumplatte herzustellen und dabei bloß nicht mit der Linolfeder abzurutschen?
Foto: julireif | Pixabay.com
Das Wort Linoleum ist eine Verbindung der lateinische Begriffe für Lein (Lini) und Öl (Oleum). Es besteht zu 100% aus organischen und mineralischen Rohstoffen (Leinöl, Harze, Trockenstoffe, Holzmehl, Korkmehl, Kreide, Farbpigmente, Jutegewebe und Linoleummehl) und hat eine positive Ökobilanz.
Altes Linoleum kann geschreddert, wiederverwertet und somit dem Kreislauf wieder zugefügt werden – doch leider landet diese Ressource noch allzu häufig auf dem Müll (wo es dann allerdings auf natürliche Weise verrottet).
Es war im Übrigen der Brite Frederick Edward Walton (1834-1928), der Linoleum erfunden hat.
Eigentlich auf der Suche nach schnelltrocknender Farbe für Öltücher, entdeckte er eines Tages auf der Farbdose einer Farbe auf Leinölbasis eine feste, gummiartige Schicht. Diese hatte sich aus oxidiertem Leinöl (dem so genannten Linoxin oder auch Linoxyn) gebildet.
Werbeanzeige | 1886 | Lincrusta-Walton | Public Domain
Neben seinem Unternehmenspatent für Linoleum und dessen Fußbodenbeläge, entwickelte und patentierte Walton 1877 zudem ein Verfahren selbiges Linoxin auch als Tapete verwendbar zu machen.
Dieses neue Produkt erhielt den Namen Lincrusta, stand für abwaschbare Relief-Wandbekleidung und wurde in Sunbury-on-Thames in der britischen Grafschaft Surrey, Paris und Hannover produziert.
Lincrusta Wandbekleidung | Cooper Hewitt | Smithsonian Design Museum – Public Domain
Das Leinöl des Ölleins schmeckt nicht nur gut auf dem Salat oder im Smoothie, es schenkt uns auch – im Vergleich zu anderen Ölen – weitaus mehr kurzkettige Omega-3-Fettsäuren.
ALA (Alpha-Linolensäure), so die Kurzbezeichnung für diese essentielle Fettsäure, kann unser Körper nicht selbst bilden und muss daher über die Nahrung aufgenommen werden.
Selbstverständlich können wir das auch über andere Lebensmittel wie Hanföl, Walnüsse etc. pp tun – doch hier geht es ja vorrangig um den Lein.
IV. Das gekochte Leinöl. |
Bauhaus-Universität Weimar | Universitätsbibliothek – Public Domain
Was für den Menschen gut ist, kann auch dem Tier von Nutzen sein. Auch für Hunde und Pferde sind Omega-3-Fettsäuren wie die Alpha-Linolensäure essentielle Fettsäuren.
Daher wird Leinöl bereits in zahlreiche Hundefutter gemischt und auch Pferdebesitzer/innen füttern gelegentlich Leinöl als Zusatz. Auch Leinkuchen (pflanzliche Bestandteile des ausgepressten Leinsamens aus der Leinölgewinnung, die nach der Pressung übrig bleiben) wird in Form von Schrot oder Mehl hinzugegeben.
Es fördere die Verdauung, sei gut fürs Fell (besonders auch bei Hautproblemen und Allergien), lindere Entzündungen und bessere Atemwegsprobleme.
An dieser Stelle der Hinweis, dass Leinöl bis weit ins 20. Jahrhundert zur Fabrikation von Ölfarben diente. Geigenbaumeister im Mittelwald verwenden noch heute für ihre Geigen eigene Lacke, die aus geschmolzenem Harz und Leinöl hergestellt werden.
Werbeanzeige | 1886 | Lincrusta-Walton | Public Domain
Ein kurzer Abstecher mit Leinöl in einen Bereich, der eigentlich dem Faserlein vorbehalten ist: Ölzeug.
Mit Hilfe von Leinöl wurde nämlich – lange bevor Kautschuk und nach ihm viele andere, technische Materialien ihren Einzug in die Bekleidungsindustrie fanden – ein textiler Stoff wasserfest gemacht.
Dieses Ölzeug trugen maßgeblich Seemänner, zum Schutz gegen die raue See. Mit dem allseits bekannten Friesennerz – einer Polyester-Jacke mit PVC-Beschichtung – hat Leinöl jedoch nichts mehr gemein.
Die Einsatzmöglichkeiten von Flachs als umweltschonendes Material sind bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Sein Potenzial ist groß, denn nicht nur seine Fasern und sein Öl, sondern auch die sogenannten Schäben sind verwertbar.
Schäben, das sind gleichmäßig gebrochene, holzähnliche Teilchen, die im maschinellen Prozess bei der Entholzung des Pflanzenstängels anfallen. Sie sind – ähnlich wie Holzpellets – ein Nebenprodukt, das z.B. auch als Einstreu in Tierställen Verwendung findet.
Doch nicht nur dort erlebt der Flachs im Form von Faser, Öl oder Schäbe eine kleine Renaissance. Zunehmend häufiger anzutreffen ist er in Verpackungsmaterial, im Bau bei Dämmstoffmatten, Platten, Vliesen, Schüttgut, Einblasdämmung, Stopfwolle zur Wärme- und Schalldämmung, im Leichtbau in Fensterrahmen, Orthesen oder Hightec-Ski im Sport, Windanlagen – und ja, auch in Bauteilen der Automobilindustrie oder in der Raumfahrt spielen Flachsbänder eine Rolle.
Saatlein | Flachsfaser-Ballen | Schäben | Alamy Stock Foto
Es gab und gibt noch viel mehr Bereiche – außerhalb von Textilien – in denen Flachs seine Anwendung findet als hier benannt. Sein Potenzial als umweltfreundliche Option ist längst noch nicht ausgeschöpft.
Wußten Sie, dass sich daraus sogar Schmuck herstellen läßt? Die Inspiration dazu lag offenbar in Venedig. Und damit schließe ich meine kleine Exkursion in die Welt des Faserleins und Ölleins im Alltag – mit einem Gemälde aus dem Veneto, natürlich Öl auf Leinwand.
Venedig Santa Maria della Salute aus San Giorgio | Eugène Boudin (1824-1898) | Öl auf Leinwand | 1895 | Alamy Stock Foto